Mahlzeit: Würmer fressen Styropor

Dass Mehlwürmer Polystyrol fressen und in organische Substanzen umwandeln, ist hinlänglich bekannt. Nun haben Forscher der Stanford-University untersucht, was dabei mit giftigen Additiven wie dem Flammschutzmittel HBCD geschieht. Das Ergebnis stimmt optimistisch.

Dass Mehlwürmer Polystyrol fressen und damit abbauen, haben wir 2016 in einem Versuch nachvollzogen (siehe Video).

Mahlzeit: Vier Wochen lang haben die Baufachjournalisten der redaktion24 aus Stuttgart das große Styroporfressen der Mehlwürmer beobachtet und in einem Zeitraffer-Video dokumentiert.

Was aber passiert mit den Schadstoffen im Körper der Mehlwürmer?

Wenn gelbe Mehlwürmer Polystyrol – besser bekannt unter der Markenbezeichnung „Styropor“ – fressen, wird dies in ihrem Darm abgebaut. Nun haben Forscher der Stanford-University in den USA erstmals untersucht, wo die giftigen Zusatzstoffe des Polystyrols landen. Das Ergebnis der Studie sei an dieser Stelle vorweggenommen: Mehlwürmer können giftige, additivhaltige Kunststoffe verzehren, ohne dass sie die Giftstoffe im eigenen Körpern einlagern.

Winzige Mehlwürmer könnten so zur Lösung unseres riesigen Kunststoffproblems einen Beitrag leisten. Denn sie können sich von verschiedenen Arten von Plastik ernähren. Frühere Stanford-Forschungen zeigten, dass Mikroorganismen im Darm der Würmer den Kunststoff dabei biologisch abbauen – ein überraschender und hoffnungsvoller Befund.

Als Futtermittel ungefährlich

Mehlwürmer sind leicht zu züchten. Sie sind daher als Futter für Hühner, Schlangen, Fische und Garnelen gut geeignet und weit verbreitet. Bedenken gab es jedoch, solche Mehlwürmer zu verfüttern, die sich zuvor – ganz oder teilweise – von Kunststoff ernährt hatten. Schließlich bestand die Möglichkeit, dass sich die schädlichen Chemikalien der Kunststoffadditive in den Würmern anreichern könnten.

Das sei definitiv nicht der Fall, wie die leitende Autorin der Studie, Anja Malawi Brandon, bestätigt. Die Doktorandin der Abteilung Bau- und Umwelttechnik in Stanford weiter: „Es ist erstaunlich, dass Mehlwürmer einen chemischen Zusatzstoff fressen können, ohne dass er sich im Laufe der Zeit in ihrem Körper anreichert.“ Die Mehlwürmer könnten Polystyrol fressen und seien trotzdem ein sicheres und ungefährliches, proteinreiches Futtermittel für andere Tiere.

Wei-Min Wu, ein leitender Forschungsingenieur der gleichen Abteilung, bestätigt das. „Die Frage, ob es ungefährlich und sicher ist, Tiere mit Mehlwürmern zu füttern, die Polystyrol gefressen haben, kann eindeutig mit ‚Ja‘ beantwortet werden. Wu muss es wissen, schließlich hat er die meisten Studien über kunststofffressende Mehlwürmer in Stanford geleitet oder mitverfasst.

Die Forschungsergnisse der Stanford-Universität sind in diesem Video zusammengefasst.

Polystyrol biologisch abbauen

Brandon, Wu und ihre Kollegen untersuchten in der Studie Polystyrol, auch bekannt unter der Markenbezeichnung „Styropor“. Es handelt sich dabei um einen gängigen Kunststoff, der bei Verpackungen und Dämmungen weit verbreitet ist. Früher wurde bei der Herstellung das Flammschutzmittel Hexabromocyclododecan (HBCD) zugesetzt. Das Additiv ist eines von vielen, welche die Eigenschaften von Kunststoffen verbessern sollten. Im Falle von HBCD sollte es die Entflammbarkeit verringern. Allein im Jahr 2015 wurden verschiedenen Studien zufolge fast 25 Millionen Tonnen dieser Chemikalien Kunststoffen zugesetzt. Einige, darunter HBCD, sind extrem gesundheits- und umweltschädlich. Für den Einsatz als Flammschutzmittel gilt für HDBC daher ein weltweites Herstellungs- und Anwendungsverbot.

Im Rahmen ihrer Forschung nahmen die Forscher der Stanford-University auch Kontakt zu Josef Schneider von der redaktion24 in Stuttgart auf. Der hatte bereits 2016 in einem praktischen Versuch nachgewiesen, dass Mehlwürmer Polystyrol abbauen. Über den Zeitraum von vier Wochen hatte der Baufachjournalist damals den Versuchsverlauf fotografisch und filmisch dokumentiert. „Schon kurz nach der Veröffentlichung unseres Videos im September 2016 nahm Rob Jordan von der Universität in Stanford Kontakt zu uns auf“, erinnert er sich. „Besonders interessant schien Rob die Tatsache zu sein, dass es sich bei unserem Styropor um älteres Material handelte, welches noch das Flammschutzmittel Hexabromcyclododecan (HBCD) enthielt.“

Das Foto- und Filmmaterial habe er den Forschern der Stanford-Universität gerne zur Verfügung gestellt, erzählt Schneider lächelnd. „Ich weiß nicht mehr, wie viel Gigabyte Daten ich Rob damals geschickt habe.“ Die Forschung an dieser besonderen Art der Abfallentsorgung sieht er positiv. „Gerade im Bereich der Fassadendämmung mit Polystyrol herrscht seit Jahren ein Glaubenskrieg. Die scheinbar problematische Abfallverwertung spielt dabei eine große Rolle. Forschungsergebnisse wie die vorliegenden können helfen, die Diskussion wieder zu versachlichen.“

HBCD nach 48 Stunden ausgeschieden

Die Standford-Studie ergab, dass Mehlwürmer das schädliche HBCD zwar aufnehmen, es nach 48 Stunden aber wieder komplett ausscheiden. Die mit HBCD-haltigem Polystyrol gefütterten Mehlwürmer waren anschließend genauso gesund wie diejenigen, die sich normal ernährten. Dasselbe gilt übrigens auch für Garnelen, die mit HBCD-fressenden Mehlwürmern gefüttert worden waren. Allerdings stelle das von den Mehlwürmern ausgeschiedene HBCD immer noch ein Risiko dar, betonen die Forscher. Letztlich wäre es wie Sondermüll zu behandeln.

Mit ihrer Studie haben Anja Malawi Brandon und ihr Team einen Beitrag zur Bewältigung der weltweiten Kunststoff-Abfallkrise geliefert. Gleichwohl können nachhaltige Lösungen nur auf Basis von biologisch abbaubaren Kunststoffersatzstoffen und der Reduzierung von Einwegverpackungen entstehen, betonen die Forscher. Brandon sieht daher ihre Forschung eher als Weckruf. „Es erinnert uns daran, dass wir ganz genau darüber nachdenken müssen, was wir unseren Kunststoffen beifügen und wie wir damit umgehen.“

Die National Science Foundation in Washington hat die außergewöhnlichen Forschungsergebnisse der Stanford-Universität in einem filmischen Beitrag gewürdigt.

Weitere Informationen zur Stanford-Univerität im Allgemeinen und der besprochenen Studie im Besonderen finden sich unter https://woods.stanford.edu

 

 

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