Exoskelett für Baustelle, Produktion und Logistik

Wer täglich schwere körperliche Arbeit verrichtet kann entweder seinen Leib im Fitnessstudio stählen, sich mit Yogaübungen geschmeidig halten oder drohenden Rückenschmerzen mit einem Exoskelett vorbeugen. Letztere sind bereits vielerorts im Einsatz, berichtet die Autorin Kirsten Rein.

Trotz aller Verbesserungen des Arbeitsumfeldes gibt es noch viele Tätigkeiten in der Logistikbranche, der Industrie oder dem Handwerk, bei denen regelmäßig schwere Gegenstände bewegt werden müssen. Auch Überkopfarbeiten belasten den Organismus. In diesen Fällen haben Exoskelette ihre Einsatzgebiete. Sie entlasten die Anwender. Denn auf Dauer können diese körperlich anspruchsvollen Tätigkeiten krank machen.

„Ich hab´ Rücken“

Muskuloskelettale Erkrankungen, so der Fachbegriff, sind Erkrankungen, Beschwerden und Verletzungen des Haltungs- und Bewegungsapparats. Sie gehören zu den häufigsten Leiden in Deutschland. Sie verursachen chronische Schmerzen, körperliche Funktionseinschränkungen und den Verlust an Lebensqualität. Schon heute sorgen sie damit für hohe Fehlzeiten. Laut RKI treten diese Erkrankungen zunehmend im Alter auf. Berücksichtigt man den demographischen Wandel, so ist davon auszugehen, dass sich die Zahl der Betroffenen drastisch erhöhen wird.

Außenskelett für ergonomischeres Arbeiten

Exoskelette sollen dazu beitragen, solchen Erkrankungen vorzubeugen. Aus diesem Grund haben viele Unternehmen diese Außenskelette bereits angeschafft. Andere sind dabei, sie als Hilfsmittel zu testen. Arbeitgeber erhoffen dadurch weniger Fehl- und Ausfallzeiten sowie eine höhere Produktivität, bedingt durch geringere Ermüdung im Schichtverlauf. Denn diese Power-Rucksäcke – sie lassen sich wie ein Rucksack aufsetzen – können für besseres Arbeiten und geringere Verletzungsanfälligkeit sorgen. Zusätzlich kann die Fürsorge des Arbeitgebers sich positiv auf die Motivation des Personals auswirken.

Exoskelett kaufen

Sogenannte passive Exoskelette funktionieren mechanisch. Sie können bei dynamischen und statischen Arbeiten in vorgebeugter Körperhaltung eingesetzt werden, um die Belastung zu reduzieren. Sie eignen sich je nach Ausführung für Tätigkeiten über Schulter- und Kopfhöhe sowie Lastenhandhabungen. Anbieter sind beispielsweise

Die Wirksamkeit der Power-Rucksäcke wurde in Tests von den Trägern bestätigt. Sie wurden als entlastend empfunden, auch wenn das unterstützte Arbeiten und die Umverteilung der Kräfte vom Rücken auf Hüfte und Beine einer gewissen Gewöhnungsphase bedürfen.

Was kostet ein Exoskelett?

Hightech gibt es nicht zum Schnäppchenpreis. Trotzdem sind Exoskelette durchaus bezahlbar. Das Exoskelett Paexo Shoulder von Ottobock ist ab 1.900 Euro zu haben. Das wesentlich komplexere Modell Paexo Back gibt es als Experience-Paket ab 4.900 Euro. Die LiftSuit von Auxivo, ein textiles Exoskelett zum Heben von Lasten, bietet der Hersteller für 890 Schweizer Fränkli an, die CarrySuit zum Tragen schwerer Lasten für 1.690 CHF.

Praxisbeispiele Exoskelett

Um sein Lagerpersonal bei schweren Arbeiten mit Hebe- und Drehbewegungen zu entlasten, hat das Logistikunternehmen DB Schenker mehrere Modelle an unterschiedlichen Standorten getestet. Es handelte sich hierbei unter anderem um das Entladen von Containern und Verpacken von Teilen, Pakethandling und Kommissionierung. Die Exoskelette sollen bei diesen Tätigkeiten die Mitarbeiter präventiv unterstützen und vor allem Lendenwirbel und Rückenmuskulatur schonen. „Wir sehen das als Ultima Ratio“, sagt Gerald Müller, Leiter Industrial Engineering bei DB Schenker in Deutschland. „Im Vordergrund stehen für uns zunächst die effiziente Gestaltung von Arbeitsplätzen. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten wie die Automatisierung von Prozessen, technische Hilfsmittel oder arbeitsorganisatorische Maßnahmen. Wenn diese Maßnahmen aus technischer oder wirtschaftlicher Sicht nicht sinnvoll sind, kann der Einsatz von Exoskeletten ein Lösungsansatz sein.“ Hierbei kommt es besonders auf die Akzeptanz der Mitarbeitenden an.

Heben schwerer Lasten mit Exoskelett Ottobock Paexo Back

Heben schwerer Lasten mit Exoskelett Ottobock Paexo Back

Akzeptanz wichtiger als Produkt

Bei DB Schenker sind passive und aktive Stützkonstruktionen getestet worden. „Am Anfang muss sehr viel erklärt und testbegleitend gecoacht werden. Die Einführung ist nicht immer einfach, man muss die Leute von dieser neuartigen Lösung überzeugen“, so die Erfahrung von Gerald Müller. Schließlich sei ein Exoskelett ein sehr technisches Gerät. Nicht jeder Mensch kann sich sofort damit anfreunden, mit einem Stützgerät oder gar Roboter auf dem Rücken zu arbeiten.

Dass die Akzeptanz ein wichtiger Punkt ist, bestätigt auch Dr. Sönke Rössing, Leiter von Ottobock Bionic Exoskeletons. „Wir entwickeln die Produkte grundsätzlich in enger Zusammenarbeit mit den Kunden. Dafür werden die Arbeitsplätze und Tätigkeitsabläufe genau analysiert. Die Nutzer sollen sich in der Bewegung so fühlen, als würden sie ohne äußere Hilfe arbeiten,“ sagt er. „Unsere Ergonomie-Experten unterstützen bei der Einführung und Auswertung.“ Das Exoskelett Paexo Back hat eine biomechanische Wirkweise. Die Last wird wie bei einem Rucksack an der Schulter abgenommen und mit Hilfe der Stützstruktur in die Oberschenkel umgeleitet. Der Energiespeicher nimmt beim Beugen Kraft auf und gibt sie beim Heben wieder ab. Das führt zu einer Entlastung des unteren Rückens von bis zu 25 Kilogramm. Große Firmen wie VW, Airbus, Daimler, SNCF und Toyota in den USA, aber auch kleine und mittelständische Unternehmen wie der Fertighaushersteller FingerHaus arbeiten bereits mit Paexo.

Praxistest mit Exoskelett bei DB Schenker in Leipzig

Praxistest mit Exoskelett bei DB Schenker in Leipzig

Vernetzte Exoskelett-Plattform

Ähnlich sieht das Dr. Peter Heiligensetzer, Gründer und CTO bei German Bionic. Das junge Unternehmen ist auf Smart Exoskeletons spezialisiert. Auch hier ist die Einführung ein wesentlicher Faktor. „Cray X ist das erste und einzige intelligente Exoskelett am Markt“, sagt Heiligensetzer. Es übernimmt Software-gesteuert bis zu 60% der Muskelaktivität, den Großteil beim Aufrichten. Denn da führt der intelligente Kraftanzug Energie zu und unterstützt so aktiv. Die Belastung wird dabei vom Rücken auf Hüfte und Beine umgeleitet. Das schont den Rücken und verbraucht weniger Sauerstoff, die Arbeit wird insgesamt als weniger ermüdend wahrgenommen. Der Stuttgarter Flughafen und Ikea haben ihre Mitarbeiter bereits mit Cray X ausgestattet.

Das intelligente Roboter-Exoskelett von German Bionic kann sich nahtlos in jedes IOT-Umfeld und jede Smart Factory fügen. Es kann Daten sammeln und auslesen, es kann ferngewartet werden und lernt über künstliche Intelligenz kontinuierlich dazu. So kann es den Prozessen und über Bewegungs- und Gewichtsdaten den Trägern individuell angepasst werden. Updates lassen sich wie beim Handy über Nacht aufspielen. Cray X kann dem Träger signalisieren, dass er zu schwer hebt oder dass er eine Pause machen sollte.

Viel Bewegungsfreiheit trotz Exoskelett - hier Freedom von Auxivo

Viel Bewegungsfreiheit trotz Exoskelett – hier: Freedom von Auxivo

Praxistests als Grundlage für die Beschaffung

Die Ergebnisse der Praxistests bei DB Schenker fielen insgesamt positiv aus. Lediglich beim Tragekomfort wurden sowohl bei den aktiven als auch bei den passiven Exoskeletten der ersten Testreihe Verbesserungspotenzial gesehen. „Bei den industriellen Exoskeletten handelt sich ja um ein junges Gebiet. Wir arbeiten hier sehr eng mit den Anbietern zusammen. Unser Feedback ist direkt in die Nachfolge-Modelle eingeflossen. Die konnten wir auch schon ausprobieren“, sagt Gerald Müller. Das aktive Cray X Exoskelett hat die Muskelaktivität trotz seines höheren Gewichts von 7 kg teilweise bis zu knapp 50 % reduziert. Die Paexo-Modelle von Ottobock in der Testreihe 2 schnitten ebenfalls überzeugend ab. Besonders leicht mit ca. einem Kilo sind die textilen Exoskelette von Auxivo und Hunic: „Sie sind besonders für Anwendungsfälle geeignet, bei denen es einer hohen körperlichen Flexibilität bedarf“, sagt Gerald Müller.

Nicht jedes Exoskelett eignet sich für jede Tätigkeit. Entscheidende Kriterien bei der Auswahl sind die Platzverhältnisse, das Gewicht, der Bewegungsradius am Arbeitsplatz sowie die Flexibilität in Bezug auf das Fahren von Flurfördertechnik. Letztlich haben alle getesteten Modelle in unterschiedlichen Anwendungsfeldern überzeugt. Die Erfahrungen aus den Tests hat DB Schenker in einer Art Entscheidungsmatrix zusammengefasst. Sie soll als Entscheidungsgrundlage für die Standorte bei der Beschaffung von Exoskeletten dienen.

Exoskelette auf der A+A 2021

Alles zum Thema Exoskelette finden Besucher der A+A 2021 in Halle 10. Dort befindet sich der Robotics Park, auf dem sich Hersteller von Exoskeletten zusammen mit dem Fraunhofer IPA präsentieren. Im angrenzenden Selfexperience Space können Besucher die Innovationen selbst erleben und ausprobieren. Zusätzlich stellen im Rahmen des Robotics Park das Fraunhofer IPA und die Universität Stuttgart IFF mit dem EXOWORKATHLON eine Live-Studie vor.

Autorin: Kirsten Rein, Fachjournalistin für technische Textilien und Arbeitsschutz

Fotos: Hersteller

Video: Mhoch4

3 Kommentare

  1. Bryan Antworten

    Ich verstehe den ganzen Aufriss ehrlich gesagt nicht, das kann doch unmöglich so teuer sein.
    So einen Hydraulikzylinder bekommt man als Privatperson für 50€, mit dem Federungssystem beim passiven oder der Programmierung beim aktiven kann man jeweils etwa 25€ drauflegen, das Material für ein Stahlgestell mit Gurten und Verbindungsgelenken für einen Arm mit Schulter kann man sich auch für unter 50€ holen.
    Also kostet das, was die Unternehmen da für ein paar tausend Euro anbieten, wenn man es selbst zusammenbaut um die 750€ und ein paar Stunden Arbeit, je nach handwerklichen Fähigkeiten.
    Wenn ich dann noch 1.000€ draufpacke, kann ich eine Panzerung und Bewaffnung ergänzen und bin immer noch günstiger weggekommen als mit dem Fertigteil

  2. Stefan Klein Antworten

    Wir haben unterschiedliche Erfahrungen mit Exoskeletten gemacht. Grundsätzlich sehr positive. Der Weg dorthin war jedoch einfach – fast schon steinig.

    Meine Erfahrungen teile ich hier gerne.
    Sie beschreiben es gut: „Akzeptanz wichtiger als Produkt“. Genau diese Erfahrung haben wir auch gemacht.
    Als mittelgroße Schreinerei dachten wir, die Mitarbeiter mit Exoskeletten zu unterstützen. Anfang sind wir hier aber auf massiven Widerstand gestoßen. Wir hatten 3 Hersteller getestet. Ottobock, German Bionic und Auxivo. Einige Modelle sind von den Mitarbeitern nicht angenommen worden, die Geräte waren alle gut, doch wenn der Mitarbeiter es nicht tragen will, macht es keinen Sinn.

    Was haben wir gemacht: Für die Mitarbeiter haben wir einen Workshop veranstaltet und Ihnen erklärt welche Vorteile Exoskelette haben.
    Sehr gute Informationen dazu findet man hier.
    https://www.tuv.at/fileadmin/user_upload/docs/group/innovation/tuv-austria-white-paper-deutsch/White_Paper_Exoskelette.pdf
    https://osha.europa.eu/de/publications/impact-using-exoskeletons-occupational-safety-and-health
    https://www.exoskelette.com/studien-medienberichte/

    Diese Informationen haben den Mitarbeitern aufbereitet und gemeinsam mit einem Experten von Ottobock in der Praxis vorgeführt.
    Mittlerweile verwenden fast alle Mitarbeiter (bis auf einen 🙂 die Exoskelette und sind damit recht happy
    Stefan Klein

  3. Josef Schneider Antworten

    Habt Ihr schon Erfahrungen mit Exoskeletten gemacht? Wenn ja, dann teilt diese mit uns!

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